Martin Hahn MdL:
„Streuobst ist für mich ein Herzensthema.“ Auf meinem Hof stehen etwa 350 Streuobst-Hochstammbäume, daher kenne ich die damit verbundene Arbeit, die so viele Engagierte in Baden-Württemberg leisten um die Streuobstwiesen zu erhalten. Streuobstwiesen sind von zentraler Bedeutung für Biodiversität, Artenvielfalt und unsere Landschaft hier am Bodensee.
Mit der heute stattfindenden Pressekonferenz möchte ich auf die aktuellen, sehr problemati-schen Entwicklungen aufmerksam machen. Die durch die Änderungsverträge entstandene Un-sicherheit führt zu einer bedrohlichen Lage der Landwirt*innen und Streuobstbewirtschaf-ter*innen und die Bewirtschaftung der Streuobstwiesen.
Ich möchte alle Beteiligten der Wertschöpfungskette aufrufen ihre Verantwortung für unsere Streuobstwiesen im Ländle wahrzunehmen.
Diese Verantwortung beginnt bei den Landwirt*innen und Menschen, die die Arbeit auf den Streuobstwiesen auf sich nehmen und sie pflegen.
Die Verantwortung geht weiter bei den Mostereien und Keltereien, eine faire Vergütung von Streuobst zu ermöglichen.
Der LEH und der Discount sind in der Pflicht den Verarbeitern faire Preise für die hochwerti-gen Streuobstprodukte zu bezahlen. Schließlich liegt auch Verantwortung bei den Verbrau-cher*innen. Sie haben es in der Hand sich für regionale Streuobstprodukte,
wie naturtrüben Apfelsaft, zu entscheiden und damit regionale Wertschöpfungsketten und die Streuobstwiesen zu unterschützen.“
Streuobstwiesen in Baden-Württemberg
2018 gab es 300.000 Hektar Streuobst in Deutschland. 40 Prozent davon liegen in Baden-Württemberg. 12.000 Hektar Streuobst werden in Baden-Württemberg ökologisch bewirt-schaftet. Seit dem Jahr 2000 hat sich die Hektarzahl im Ländle als verdoppelt.
Die Zahl der Bio-Streuobsterzeuger in Baden-Württemberg hat in den vergangenen Jahren deutlich zugenommen. Während im Jahr 2015 3.679 reine Streuobsterzeuger ökologisch wirt-schafteten, waren es Ende 2019 bereits 5.829 reine Streuobsterzeuger (also nicht landwirt-schaftliche Betriebe mit Streuobst).
Der Naturschutzbund Deutschlands (NABU) schätzt die Anzahl der Streuobst-Apfelsorten auf 3.000. Berücksichtigt man Birnen, Kirschen, Zwetschen oder Walnüssen ergeben sich fast 6.000 Sorten.
Lebensraum Streuobstwiesen
Streuobstwiesen sind ein charakteristischer Bestandteil unserer Kulturlandschaft. Mit über 5000 Tier- und Pflanzenarten gelten Streuobstflächen als die artenreichsten Lebensräume in Mitteleuropa.
Bereits eine Streuobstwiese kann Heimat für bis zu 450 verschiedene Pflanzenarten und etwa 3000 Tierarten sein, da sie einen reich strukturierten Lebensraum bietet. Die hochstämmigen Obstbäume mit ihren Baumstämmen, Blüten, Knospen und Früchten bieten Lebensraum für Vögel, Insekten und andere Kleinstlebewesen. Spinnen und Käfer nutzen den Stamm ebenfalls als Lebensraum. Die von den Käfern dann verlassenen Fraßgänge nutzen Wildbienen wiederum als Niststätten. Wiesen und Weiden unter den Bäumen sind ein weiterer wichtiger Lebensraum für viele wirbellose Tiere.
Die Preisbildung auf dem Streuobstmarkt
Üblich ist im Bio-Streuobstmarkt ein durch die Abnehmer (Verarbeiter) vertraglich vereinbarter fester Preis für die angelieferte Ware. So können die Bewirtschafter*innen der Streuobstflächen über mehrere Jahre mit einer sicheren Bezahlung des Obstes rechnen, außer der Vertrag wird angepasst. In den letzten Jahren lag der Bio-Preis meist bei 30 bis 35 Euro/dt.
Konventionelles Streuobst ist in den meisten Fällen nicht per Vertrag geregelt. Je nach Marktlage, Preise der Konkurrenten und Obstangebot bzw. steigender Obstqualität ergeben sich die Preise, die Keltereien und Verarbeiter ihren Lieferanten bieten.
Gesunkene Preise
Neu bieten Keltereien den Landwirt*innen an, Bio-Mostobst zu Tagespreisen von nur noch 14 Euro pro Doppelzentner aufzukaufen. Besonders betroffen vom Preisverfall bei Bio-Mostobst ist Baden-Württemberg und besonders auch die Bodenseeregion.
Die Großkeltereien begründen ihre neue Preispolitik damit, dass in Europa mittlerweile große Mengen an Bio-Äpfeln erzeugt werden und der Markt für Bio-Apfelsaft nicht entsprechend gewachsen ist. Tatsächlich haben sich die Bio-Apfelflächen in Europa, zum Beispiel in Polen und Frankreich, deutlich vergrößert, während der Umsatz mit Bio-Apfelsaft nicht in dem Maße gestiegen ist wie der mit anderen Bio-Fruchtsäften.
Aufwand durch Pflege der Streuobstflächen
Die Bewirtschaftung von Streuobstwiesen ist gekennzeichnet durch das regelmäßige Schneiden der Bäume und die Bewirtschaftung des Grünlands unter den Bäumen.
Für den Baumschnitt, der etwa alle zwei Jahre durchgeführt werden sollte, ist Fachkenntnis, die durch Weiterbildung erlangt werden kann, notwendig. Nach dem Schneiden der Bäume gilt es, das Schnittgut fachgerecht zu sammeln.
Die Bewirtschaftung der unter den Streuobstbäumen liegenden Grünlands ist häufig nicht oder unter erschwerten Bedingungen maschinell möglich. Daher bietet sich die Haltung von Wiederkäuern, wie Schafen und Rindern an. Das tägliche Versorgen und die fachgerechte Betreuung der Tiere bedeutet eine hohe Verantwortung und ist mit Arbeitsaufwand verbunden.
Förderung für Streuobst durch das Land Baden-Württemberg
Vor dem Hintergrund des Biodiversitätsstärkungsgesetzes, das im Juli 2020 verabschiedet wurde, engagiert sich das Land Baden-Württemberg im Rahmen des Förderverfahrens Baumschnitt-Streuobst weiterhin für den Erhalt der Streuobstflächen.
Im Staatshaushaltsplan Baden-Württemberg 2020/2021 sind 3,3 Millionen Euro für die Streuobstförderung vorgesehen. Das bedeutet, dass das zweimalige Schneiden jedes Baumes in fünf Jahren mit je 15 Euro gefördert werden kann. Die Kommunen haben die Möglichkeit, diese Förderung um bis zu 10 Euro je Baumschnitt zu erhöhen.
Im Förderprogramm beteiligen sich knapp 8.000 Engagierte, die etwa 400.000 Streuobstbäume sachgerechte Pflege zukommen lassen.
Darüber hinaus wird die Grünlandpflege auf Streuobstflächen über das Agrarumweltprogramm FAKT gefördert. Es wird auch eine Förderung der Kontrollkosten für Bewirtschafter*innen, die die Streuobstflächen ökologisch bewirtschaften, über die Verwaltungsvorschrift zur Stärkung des ökologischen Landbaus angeboten. Streuobstinitiativen, die Produkte aus 100 Prozent Streuobst erzeugen und vermarkten, können eine Förderung für absatzunterstützende Werbe- und Verkaufsförderungsmaßnahmen beantragen. Erzeugergemeinschaften aus Streuobstbewirtschafter*innen und Unternehmen der Verarbeitung und Vermarktung haben die Möglichkeit Zuschüsse bis zu 25 Prozent als Förderung für Investitionen in die Herstellung und Lagerung von Direktsäften sowie für qualitätsverbessernde Maßnahmen zu erhalten.
Weiterführende Informationen:
Streuobst in Baden-Württemberg:
https://streuobst.landwirtschaft-bw.de/pb/,Lde/Startseite
https://baden-wuerttemberg.nabu.de/natur-und-landschaft/landwirtschaft/streuobst/index.html
Entwicklungen Streuobstanbau in Deutschland: