Der Kressbronner Obstbauer Hubert Bernhard will schnellst möglich in ein Agrophotovoltaik Pilotprojekt investieren. Der Obstbaumeister vom Bodensee ist einer von fünf nicht wissenschaftlichen Kooperationspartnern bei einem Agrophotovoltaik Forschungs- & Entwicklungsprogramm an zehn Standorten in Süddeutschland. Die Idee ist genial.
Über Apfelbäumen will der Landwirt, der auch Vorsitzender des Obstbaurings ist, Solarmodule errichten. Partner vor Ort ist das Regionalwerk Bodensee. Der unabhängige regionale Energieversorger ist Netzbetreiber. Gabriel Frittrang vom Regionalwerk sieht in der Vermarktung des grünen Stroms aus Agrophotovoltaik auch ein mögliches neues Geschäftsfeld in der Zukunft. Martin Hahn MdL, Landtagsabgeordneter der Grünen für den Bodenseekreis, hat sich die Fläche, auf der die Photovoltaikanlage über den Obstbäumen entstehen soll, bei seiner Sommertour in Kressbronn vor Ort angeschaut und setzt sich dafür ein, dass das Land das Pilotprojekt fördert. Die Investitionskosten liegen immerhin in einem sechsstelligen Bereich. Hubert Bernhard hofft, dass er etwa die Hälfte der Investitionskosten über Fördermittel finanzieren kann. Wissenschaftlich begleitet das Forschungs- & Entwicklungsprogramm für Süddeutschland mit Schwerpunkt Sonderkulturen das Fraunhofer für Solare Energiesysteme (ISE).
Konkurrenz ums Land
Martin Hahn MdL sieht in der Agrophotovoltaik eine große Chance für den Bodensee. Die Ressource Land wird immer knapper – sowohl weltweit, als auch in Deutschland und ganz besonders auch in der Bodenseeregion. Nicht nur das Gewerbe, sondern auch die Energiewende benötigt Flächen, die dann der Landwirtschaft nicht mehr zur Verfügung stehen. „Eine Folge sind die harte Konkurrenz bei der Landnutzung und steigende Pachtpreise“, erklärt Martin Hahn. Besonders betroffen sind Regionen, welche aufgrund fruchtbarer Böden und milden Klimas sowohl landwirtschaftlich attraktiv sind, als auch wegen hoher Sonneneinstrahlung als Standort für Photovoltaik-Freiflächenanlagen (PV-FFA) in Frage kommen. „Auf Baden-Württemberg und die Bodenseeregion trifft das besonders zu“, so der Abgeordnete der Grünen.
Junge Technologie schafft Synergien
Agrophotovoltaik (APV) ist noch eine sehr jungen Technologie. Die PV-Module werden in einer Höhe von zwei bis acht Metern aufgeständert. Diese Art der Doppelnutzung von Flächen schafft Vorteile und Synergieeffekte. In den Obstkulturen am Bodensee könnten die Solarmodule die Hagelnetze teilweise ersetzen. „Aufgrund steigender Kosten für Schutzvorrichtungen als Folge der Klimakrise, die dann entfallen, ist mit einer höheren Wirtschaftlichkeit von APV zu rechnen“, so der Wahlkreisabgeordnete. In Verbindung mit anderen Schutzsystemen, wie etwa in die APV-Anlage integrierte Folien oder Netze, können ganzheitlich geschlossene Systeme bei gleichzeitiger Minderung des Pflanzenschutzmitteleinsatzes möglicherweise kostengünstiger umgesetzt werden als bisher. Auch Hubert Bernhard rechnet damit, dass er in Zukunft möglicherweise weniger chemische Pflanzenschutzmittel zum Beispiel zur Pilzbekämpfung einsetzen muss, weil seine Bäume durch die Solarmodule vor Feuchtigkeit geschützt werden. Das wäre gut für die Biodiversität. Ausprobieren möchte Hubert Bernhard AVP auf einer Fläche von knapp einen halben Hektar direkt hinter seinem Hof. Die Anlage soll 300 Kilowatt-Peak (kWp) leisten. In etwa zehn Jahren hätte sich die Anlage amortisiert. Ob es funktioniert, ob Obstanbau und die Erzeugung von regenerativer Energie auf der selben Fläche möglich sind und sich die Anlage wirtschaftlich betreiben lässt, soll sich in fünf Jahren herausstellen. Hubert Bernhard geht davon aus, dass er schon in etwa drei Jahren eine Tendenz erkennen kann.
Das Forschungsprojekt
Beim Forschungs- & Entwicklungsprogramm geht es zunächst um die technische Machbarkeit der verschiedenen APV-Anwendungen. Die Projektskizze sieht vor, die für eine Markteinführung von APV relevantesten und vielversprechendsten landwirtschaftlichen Anwendungen an insgesamt zehn verschiedenen Standorten – an fünf Forschungs- und fünf Praxisanlagen – zu untersuchen. Für die verschiedenen Kulturen, darunter auch den Apfelanbau, sollen die geeignetsten PV-Technologien identifiziert und hinsichtlich ihrer technischen, ökonomischen und landwirtschaftlichen Leistungsfähigkeit optimiert werden. Durch die Kombination aus Forschungs- und Praxisanlagen kann eine große Bandbreite an Fragestellungen in den verschiedenen Kulturen und Standorten abgedeckt werden. Zu den beteiligten Forschungseinrichtungen gehören neben dem Fraunhofer Institut für Solare Energiesysteme zum Beispiel auch das Landwirtschaftliches Technologiezentrum Augustenberg, das Kompetenzzentrum Obstbau-Bodensee (KOB) in Bavendorf oder die Universität Hohenheim.
Bei den Praxisstandorten sind das Regionalwerk Bodensee & Obstbaubetrieb Bernhard in Kressbronn an Bord. Die Regionalwerk Bodensee Netze GmbH & Co. KG mit Sitz in Tettnang gehört sieben Gemeinden im Bodenseekreis. Mit ihrem Regionalwerk wollen sie die Energieversorgung unabhängig von großen Energiekonzernen gestalten und somit zur regionalen Wertschöpfung beitragen. Mittlerweile ist das Unternehmen zum Grundversorger in den sieben Gründergemeinden geworden. Das Regionalwerk ist vor Ort gut vernetzt und unterstützt das APV-Vorhaben in Kressbronn als Stromabnehmer und möglicher Investor. Der Vollerwerbsbetrieb Hubert Bernhard bewirtschaftet insgesamt 86 ha landwirtschaftliche Nutzfläche nach den Standards der integrierten Produktion. Davon entfallen 47 ha auf den Bereich Kernobst, wobei vor allem der Apfel als Hauptkultur im Vordergrund steht.
Martin Hahn MdL, agrarpolitischer Sprecher der Landtagsfraktion der Grünen und Vorsitzender des Agrarausschusses, möchte Agrophotovoltaik im Land politisch unterstützen. Am 30. September ist im Landtag eine öffentliche Anhörung des Agrarausschusses zu Agrophotovoltaik geplant. Zu den Experten gehört in Stuttgart das Fraunhofer Institut Solare Energiesysteme (ISE). Eingeladen sind zur Anhörung auch die Mitglieder des Umweltausschusses. Voraussichtlich wird die Anhörung gestreamt, so dass Interessierte den Austausch auch online verfolgen können